Dr. Enrico Storti of Maggiore Hospital in Lodi, Italy

Dr. Enrico Storti ist Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin sowie Koordinator der Notaufnahme des Krankenhauses Maggiore in Lodi, Italien. Lodi liegt in der Nähe von Mailand und dem Epizentrum des Ausbruchs von COVID-19 in Italien. Die Pandemie hat Lodi hart getroffen. Dr. Storti selbst arbeitet bei der Behandlung der Patienten und zur Eindämmung des Ausbruchs an vorderster Front.

Dr. Diku Mandavia, M.D., Chief Medical Officer bei FUJIFILM Sonosite, interviewte Dr. Storti, um sich ein besseres Bild von der klinischen Situation in Italien zu machen. Dr. Storti sprach darüber, wie sein Krankenhaus mit dem plötzlichen Anstieg der Patientenzahlen umgegangen ist. Er beschreibt, wie sein Team die Intensivstation so umgestaltet hat, dass es mit einem noch nie dagewesenen „Massenanfall von Erkrankten” fertig wird, und womit Ärzte rechnen können, wenn das Coronavirus ihre Krankenhäuser erreicht. Er sprach auch über die wichtige Rolle von Point-of-Care Ultraschall bei der Steigerung der Effizienz auf der Intensivstation, während gleichzeitig eine enorme Anzahl von Patienten intensivmedizinisch betreut werden muss. Ein Video des Interviews finden Sie auf der COVID-19-Ressourcenseite von Sonosite. Wir haben außerdem ein weiteres Interview mit Dr. Storti geführt, in dem er Ratschläge gibt, wie die Bevölkerung die örtlichen Krankenhäuser unterstützen kann.

Dr. Mandavia:

Vielen Dank, dass Sie heute bei uns sind. Ich bin Diku Mandavia, Chief Medical Officer von FUJIFILM Sonosite. Wie Sie alle wissen, befinden wir uns angesichts des COVID-19-Ausbruchs gerade inmitten einer globalen Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Wir haben Gebiete, in denen die Krankheit endemisch ist, und Italien zählt im Moment mit Sicherheit zu den Epizentren. Das Land am Mittelmeer durchlebt gerade sehr schwierige Zeiten. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass wir von den Ärzten lernen, die in Italien an vorderster Front arbeiten. So können sich andere Ärzte besser auf die Behandlung dieser schwerkranken Patienten vorbereiten. Deswegen ist heute mein Freund und Kollege Dr. Enrico Storti bei mir, der Leiter der Intensivstation in Mailand, Italien. Er ist der Koordinator für die präklinische Notfallversorgung sowie für die intensivmedizinische Behandlung im dortigen Krankenhaus. Er ist auch ein Pionier auf dem Gebiet des Point-of-Care Ultraschalls und Gründer der Organisation WINFOCUS. Darüber hinaus war er maßgeblich an der Förderung des Lungenultraschalls und vieler anderer Anwendungen von Point-of-Care Ultraschall beteiligt. Dies soweit als Einleitung. Vielen Dank, Enrico. Wie ich sehe, sind Sie uns von der Intensivstation aus zugeschaltet. Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Meiner Meinung nach ist es wirklich wichtig, diese wichtigen Informationen bekannt zu machen. Vielleicht können Sie unseren Zusehern ein wenig von sich erzählen, wer Sie sind, wo Sie arbeiten und so weiter.

Dr. Storti:

Ich danke Ihnen für die Einladung, und es ist mir eine Ehre, meine Erfahrungen mit Ihnen zu teilen. Ich muss sagen, dass die Lage hier sehr schwierig für uns ist. Wie Sie bereits erwähnt haben, bin ich Intensivmediziner. Ich arbeite seit 17 Jahren im Mailänder Krankenhaus Niguarda, dem größten Traumazentrum im Norden Italiens. Darüber hinaus versorge ich vor allem Patienten mit Verbrennungen und Brandwunden. Seit vier Jahren bin ich zudem für die Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin in Lodi verantwortlich, das ungefähr 40 Kilometer von Mailand entfernt liegt. Ich kümmere mich um die allgemeine Intensivstation mit sieben Betten. Sie haben es schon erwähnt, ich bin einer der Gründer von World Interactive WINFOCUS. Wie Sie sich also vorstellen können, ist Ultraschall ein Teil meines Lebens. Ich wüsste nicht, wie ich meine Intensivpatienten ohne Point-of-Care Ultraschall versorgen sollte. Ultraschall spielt also auch eine wichtige Rolle in meinem bisherigen beruflichen Werdegang und ist Teil meiner Expertise.

Dr. Mandavia:

Wir konnten in den Medien verfolgen, was in Italien vor sich geht. Schildern Sie uns bitte in Ihren eigenen Worten die aktuellen Zustände in Italien und erzählen Sie uns mehr über die Situation in den Krankenhäusern.

Dr. Storti:

Wie Sie bereits erwähnt haben, wurde über meine Intensivstation und mein Krankenhaus aufgrund der Coronavirus-Epidemie viel in den Medien berichtet. Die Ereignisse haben sich innerhalb von drei Wochen überschlagen. Ich habe Dinge gesehen, die ich noch vor drei Wochen für absolut unmöglich gehalten hätte. Mittlerweile sehen wir uns einem Massenanfall von Erkrankten gegenüber. Und das ist wirklich nicht übertrieben, denn wir waren von einer Minute auf die andere gezwungen, eine riesige Zahl von Patienten zu versorgen. In der Notaufnahme mussten wir in einem Zeitraum von 24 Stunden durchschnittlich 150, manchmal sogar bis zu 200 Patienten pro Tag aufnehmen. Wir erhielten eine ganze Flut von Patienten. Der Zustand von 150 dieser Patienten wurde als besonders kritisch (im italienischen Code-System zur Klassifizierung Kritischkranker mit rot markiert) und moderat kritisch (gelb) eingestuft. Alle diese Patienten litten gleichermaßen an schwerer Atemnot, am ARDS. Patienten mit grünen (wenig kritischer Zustand) bzw. weißen Codes (kein kritischer Zustand) gab es gar keine. Die Codes für weniger schwere Fälle verschwanden im Prinzip vollständig.

Wir hatten es also mit einer großen Zahl von Patienten zu tun, die mehr oder weniger gleichzeitig in die Notaufnahme kamen oder dorthin überwiesen wurden. Ein großer Teil dieser Patienten wies schwere Atemnot auf und benötigte Sauerstoff. Es war eine große Herausforderung für die Notaufnahme und das gesamte Krankenhaus. Uns war sofort klar, dass wir mit einer Situation wie dieser überfordert sind. Es gab ein riesiges Ungleichgewicht zwischen den vorhandenen Ressourcen und der Anzahl der Patienten und dem von diesen Patienten benötigten intensiven Versorgungsstandard zur Verbesserung ihres Zustandes.

Wir sahen uns daher gezwungen, unsere Krankenhausregeln zu ändern und das Krankenhauspersonal neu zu strukturieren, angefangen von der Notaufnahme über die Überwachungsstation bis hin zu den Intensivstationen. Wir waren dazu gezwungen, da es keine Möglichkeit gab, diese Patienten von unserem in ein anderes Krankenhaus zu verlegen. Alle umliegenden Krankenhäuser in der Region sahen sich der gleichen oder noch größeren Zahl von Patienten gegenüber und waren somit ebenfalls völlig überlastet. Daher behandeln wir dies wie einen Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten.

Dr. Mandavia:

Sie mussten also eine große Gruppe von Patienten mit unverhältnismäßig hohem Akuitätsgrad behandeln, oder anders ausgedrückt, es gab eine Vielzahl an Patienten, die stationär aufgenommen werden mussten. Können Sie mir mehr über diese Patienten erzählen? Wie alt sind sie?

Dr. Storti:

Ganz am Anfang waren die meisten dieser Patienten ältere Menschen. So um die 75, 80, 85 Jahre alt. Das ist das Alter, in dem die Mortalität wirklich hoch ist. Sie litten an einem echten ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) mit einer schweren Reduktion des BO2/FiO2-Verhältnisses; sie mussten natürlich beatmet werden und wir wendeten Strategien wie die Bauch- und Rückenlagerung, Stickstoffmonoxid und vieles mehr an. Die Sterblichkeitsrate war dennoch sehr hoch. In den letzten 10 bis 15 Tagen konnten wir feststellen, dass das Durchschnittsalter unserer Patienten etwas niedriger ist. Wir sehen nun Patienten mit ARDS, die 40, 45, 50 Jahre alt sind. Und das ist ein weiteres Problem, denn wie Sie wissen, erfordert die Behandlung von ARDS einen langen Aufenthalt auf der Intensivstation.

Die Herausforderung besteht hier also nicht nur darin, Kapazitäten auf der Intensivstation zu schaffen und diese zu erweitern, sondern auch, sich vor Augen zu halten, dass unabhängig von der Anzahl der neu bereitgestellten Betten der Aufenthalt auf der Intensivstation immer noch sehr lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber leider ist die Infektionsrate von Corona sehr hoch und das Virus ist sehr beständig. Daher gibt es immer eine große Anzahl von Patienten, die innerhalb des Krankenhauses verteilt sind, in der Notaufnahme, in den anderen Stockwerken und Stationen, die ausschließlich für positiv getestete Patienten bestimmt sind. Der Druck ist enorm. Es ist fast unvorstellbar, wie man eine so große Zahl von Patienten, die eine intensivmedizinische Betreuung benötigen, bewältigen soll.

Dr. Mandavia:

Apropos Überlastung, wie konnten Sie Ihre Kapazitäten auf der Intensivstation erhöhen? Hatten Sie genügend Ausstattung wie Beatmungsgeräte, Monitore und so weiter zur Verfügung?

Dr. Storti:

Ganz am Anfang hatten wir zu wenig Beatmungsgeräte. Der Gesundheitsbehörde der Region Lombardei gelang es jedoch, eine große Anzahl von Beatmungsgeräten zu organisieren und sie zentral zur Verfügung zu stellen. So haben wir letztendlich eine große Anzahl von Beatmungsgeräten bekommen. Ich kann Ihnen aber auch versichern, dass wir gleich zu Beginn gezwungen waren, alle Beatmungsgeräte im Krankenhaus einzusammeln. Wir benutzten die Beatmungsgeräte in den Operationssälen und brachten die Patienten in den OP, damit sie dort in einer intensivstationähnlichen Umgebung richtig beatmet werden konnten. Auch das war am Anfang eine echte Herausforderung. Mittlerweile ist die Situation etwas stabiler. Mit stabil meine ich, dass wir auf der Intensivstation derzeit 24 Betten und 26 Beatmungsgeräte haben. Wir haben somit die Möglichkeit, der Situation Herr zu werden. Darüber hinaus gab es zu Beginn einen Mangel an Spritzenpumpen und anderen Utensilien für die Intensivstation, da wir nur mit Instrumenten und Beatmungsgeräten für sieben Betten ausgestattet waren.

Wenn es Sie interessiert, können wir auch darüber sprechen, wie wir das Krankenhaus umgestaltet haben. Angesichts dieser Situation wurde nicht nur die Intensivstation und Notaufnahme umgestaltet.

Dr. Mandavia:

Ja, bitte. Erzählen Sie uns ein wenig darüber.

Dr. Storti:

Die Umgestaltung hat sich während der Epidemie als Erfolg erwiesen. Uns war sofort klar, dass es sich hier um eine Art Kriegszustand handelt. Wir hatten so viele Patienten zur gleichen Zeit, dass wir sie einfach nicht mehr nach dem Goldstandard behandeln konnten. Mit Goldstandard meine ich, dass absolut jeder Arzt auf der Intensivstation ganz genau weiß, wie man ARDS-Patienten betreut und behandelt.

Das Problem ist nur, dass Sie 15 ARDS-Patienten gleichzeitig versorgen müssen. Hinzu kommt, dass weniger Mitglieder Ihres Teams im Dienst sind. Sie können nicht dieselben Instrumente verwenden, Sie können nicht die gleichen Richtlinien heranziehen. Es war sofort offensichtlich, dass wir zunächst einmal eine neue Vorgehensweise bei der Behandlung dieser Patienten umsetzen mussten. Und nicht nur die Art und Weise, wie wir diese Patienten behandeln, sondern auch, wie das Krankenhaus uns dabei unterstützen könnte, mussten wir komplett neu überdenken.

Am ersten Tag waren wir völlig überwältigt und überrascht von den Ereignissen. Wir versuchten aber sofort zu reagieren und einen anderen Weg einzuschlagen. Unsere Erfahrung mit WINFOCUS war dabei extrem hilfreich. Im Rahmen von WINFOCUS sind wir es gewohnt, in kritischen Szenarien einen kühlen Kopf zu behalten. Dank Ultraschall können wir auch in Ländern, in denen die Gesundheitssysteme unterentwickelt sind und ein großes Missverhältnis zwischen den verfügbaren Ressourcen und der Zahl der Patienten besteht, eine erstaunliche Arbeit leisten. Unsere Erfahrungen in diesen Ländern waren wichtig. Wir haben die Vorgehensweise in diesen Ländern mehr oder weniger auf die derzeitige Lage in Italien übertragen.

Zum Beispiel, wenden wir nicht den Goldstandard an, das heißt, wir ordern nicht für jeden ARDS-Patienten einen CT-Scan an. Das hatte den einfachen Grund, das es zu viele Patienten gewesen wären. Stattdessen haben wir umgehend beschlossen, wie wir Patienten mit demselben Krankheitsverlauf behandeln. Wir haben also Patienten, die sich in den letzten Tagen mit einer schweren Atemnot, sehr niedrigem BO2/FiO2 sowie Fieber und einer Grippe vorstellten. Die Diagnose war folglich nicht allzu schwierig. Die wirkliche Herausforderung bestand in der Triage der Patienten gleich zu Beginn mit einer sehr schnellen, sehr einfachen und sehr effektiven Point-of-Care Untersuchung. Sonst hätten wir es nicht geschafft. Bei den betroffenen Patienten führten wir dementsprechend nur eine Blutgasanalyse, ein Thoraxröntgenbild und eine Ultraschalluntersuchung durch. Natürlich betrachteten wir auch ihre Krankengeschichte. Das waren die Säulen, auf denen wir die endgültige Diagnose erstellt haben.

Besonders wichtig wurde die Entscheidung über die richtige Verteilung der Ressourcen: Wohin soll ein Patient überwiesen werden? Wer kann 24 oder 48 Stunden in der Notaufnahme bleiben? Wer muss sofort intubiert werden? Und welche Patienten können auf die Überwachungsstation verlegt werden? Natürlich haben wir das Personal neu eingeteilt und die Stationen in unserem Krankenhaus neu definiert. So konnten wir eine komplett neue Überwachungsstation mit 18 Betten schaffen. Wir haben die neurologische Abteilung umfunktioniert und stattdessen die zu beatmenden Patienten dorthin verlegt. Sie werden von einem multidisziplinären Team behandelt: einem Pulmonologen, einem Intensivmediziner und allen anderen, die intubieren können oder die in der Lage sind, ein Beatmungsgerät zu bedienen und einzurichten. Auf diese Weise haben wir unsere intensivmedizinischen Kapazitäten vergrößert.

Das ist auch sehr wichtig, denn bei einer Coronavirus-Infektion erhält man ein Verhältnis, das in etwa folgendermaßen aussieht: Ein Patient liegt auf der Intensivstation, fünf bis zehn Patienten sind auf der Überwachungsstation und dann gibt es noch zehn bis 20 Patienten, die im Prinzip nur Sauerstoff benötigen. Aufgrund dieser großen Zahl an Patienten mussten wir dafür sorgen, dass die Sauerstoffanschlüsse und die gesamte Sauerstoffversorgung in unserem Krankenhaus um das Fünffache erhöht werden. Wir mussten das Unternehmen, das uns mit Sauerstoff versorgt, darum bitten, unser Sauerstoffreservoir mehr als einmal am Tag aufzufüllen. Dies soll Ihnen nur eine grobe Vorstellung davon vermitteln, wie groß die Abhängigkeit von Sauerstoff ist, wenn so viele Patienten gleichzeitig behandelt werden müssen.

Dr. Mandavia:

Unglaublich. Verraten Sie mir bitte, in welchen anderen Bereichen noch Einschränkungen bestehen? Was müssen Ärzte noch berücksichtigen?

Dr. Storti:

Auf unserer Intensivstation war der erste positiv auf Corona getestete Patient, den wir als „Patient Eins“ bezeichnen. Natürlich wissen wir jetzt, dass dieser Patient mit Sicherheit nicht der eigentliche erste Erkrankte war. Das Virus zirkulierte wahrscheinlich bereits hier in Italien – oder wo auch immer – ca. 15 Tage vorher. Ich bin kein Epidemiologe und das ist nicht meine Aufgabe, aber inzwischen haben wir genug Erkenntnisse, um diese Behauptung anstellen zu können. Und das ist wichtig, weil wir seither eine Reihe von Patienten aufgenommen haben, die einen Bedarf von 15 Litern Sauerstoff pro Minute hatten. Und bei 40 Patienten, die jeweils 15 Liter Sauerstoff pro Minute benötigen, reicht die Bereitstellung von Sauerstoff in den Leitungen einfach nicht mehr aus. Wir waren also gezwungen, die verschiedenen Sauerstoffanschlüsse im Krankenhaus umzubauen und unsere Sauerstoffleitungen zu erweitern, um einen Absturz unseres Sauerstoffsystems zu vermeiden – die potenziellen Folgen davon können Sie sich sicher gut vorstellen.

Meine Botschaft lautet also: Wenn Sie sich mitten in einem Ausbruch befinden oder wenn Sie wissen, dass sich das Virus aktiv ausbreitet, müssen Sie bereit sein, Ihr Krankenhaus umzugestalten und Techniken anzuwenden, die mit dem Tempo Schritt halten, das dieses Virus Ihrem Krankenhaus aufzwingt. Verabschieden Sie sich von der Idee, es auf die gewohnte Art und Weise anzugehen. Damit meine ich zum Beispiel CT-Scans für alle Patienten, die umgehende Betreuung auf der Intensivstation und die Bauch- und Rückenlagerung gleich zu Beginn der Behandlung. Sie werden es nicht schaffen, weil Sie nicht genug Pflegepersonal haben, um 18 Patienten gleichzeitig in Rückenlage zu lagern. Es handelt sich also um eine andere Art der Triage.

Und gestatten Sie mir die Bemerkung, dass diese Art von Triage – die für Italien und für die Industrieländer insgesamt absolut unüblich ist – kein leichtes Unterfangen ist. Auch teamintern war es nicht einfach, die Mitarbeiter zu überzeugen, dass wir uns in einer Art Kriegszustand befinden und dass unsere einzige Chance darin besteht, die Betreuung der Patienten zu überdenken, unser Team umzuverteilen und es schließlich neu zu strukturieren. Wir haben aktuell Teams, die es bis vor ein paar Wochen noch nicht gab. Denn inzwischen haben wir verschiedene Patienten an verschiedenen Orten in unserem Krankenhaus mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Gleichzeitig herrscht ein Ungleichgewicht zwischen diesen Bedürfnissen und unserer Fähigkeit, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Dr. Mandavia:

Wenden wir uns einem nur geringfügig anderem Thema zu. Die Belastung für die Ärzte, das Pflegepersonal, die Atemtherapeuten und viele andere Mitarbeiter ist offensichtlich enorm. Wie schützen Sie Ihr Personal? Gab es viele Infektionen?

Dr. Storti:

Ja, das ist ein absolut entscheidender Punkt. Und ja, man muss sein Personal schützen. Man muss sein Personal schützen, gerade weil es die eigenen Leute sind. Aber auch, um zu vermeiden, dass man nicht genügend Personal hat, weil sie selbst positiv [for coronavirus] getestet wurden.

Glücklicherweise hatten wir eine ausreichende Menge an PSA (persönliche Schutzausrüstung). Wir informierten die Mitarbeiter sofort darüber, was sie zu tragen hatten und welche Schutzstrategien das gesamte Team anwenden sollte. Genau das haben wir getan. Es gab trotzdem Ärzte und Pflegekräfte, die sich angesteckt haben[who tested positive for COVID-19]. Ich glaube jedoch, dass der größere Teil der erkrankten Ärzte und Pflegefachkräfte bereits infiziert war, als „Patient Eins“ noch nicht identifiziert war.

Bekanntlich haben wir in Italien eine Reihe von Maßnahmen zur sozialen Distanzierung ergriffen. Das sind sehr wichtige Maßnahmen, die einen großen Einfluss auf unsere Lebensweise und auf die wirtschaftliche Situation unseres Landes haben. Solche restriktiven Maßnahmen sind allerdings derzeit der einzige Lösungsansatz, den wir haben, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. So gelingt es uns, uns zu schützen. Wir haben genug PSA. Unser Personal ist im Grunde geschützt.

Dr. Mandavia:

Ich weiß, dass viele unserer Zuseher sehr neugierig darauf sind, was Sie auf Ihren Ultraschallaufnahmen der Lunge sehen. Gibt es Besonderheiten oder auffällige Merkmale bei COVID-19?

Dr. Storti:

Ja, ich fange am besten ganz von vorne an. Unser Krankenhaus verfügt über eine hohe Expertise auf dem Gebiet Ultraschall. Grund dafür ist die Tatsache, dass wir in den letzten zehn Jahren sehr viel Zeit und Arbeit in die Schulung unserer Mitarbeiter investiert haben. WINFOCUS hat hier in Lodi eine erstaunliche Arbeit geleistet. Mittlerweile gibt es in jeder einzelnen Etage dieses Krankenhauses ein oder mehrere Ultraschallgeräte, und alle Ärzte – Kinderärzte, Neurologen, Chirurgen, Intensivmediziner, alle, die hier arbeiten – können mit einer Schallsonde umgehen und Point-of-Care Ultraschalluntersuchungen durchführen.

Point-of-Care Ultraschall bedeteutet im Prinzip, dass jeder Arzt eine Schallsonde in die Hand nehmen kann, um seine Patienten so besser einschätzen und überwachen zu können. Dabei bringt jeder Arzt seine eigene Erfahrung ein, um zu entscheiden, was für unsere Patienten wichtig ist. Das ist also die Ausgangslage, von der wir gestartet sind. Da wir mit Point-of-Care Ultraschall so vertraut waren und all die unterschiedlichen Teams davon überzeugt waren, dass es sich um ein wirklich leistungsfähiges Tool handelt, haben wir beschlossen, Ultraschall gleich zu Beginn, bei der Triage, einzusetzen. Das hat zwei Gründe: einerseits um die Lungenbeteiligung bei COVID-19 zu beurteilen, und andererseits um zu entscheiden, auf welche Station der Patient gebracht werden soll. Außerdem wollten wir so auch die Komorbiditäten behandeln.

Manchmal kamen zu uns junge Menschen, die nur unter ARDS litten oder bei denen die Lungenbeteiligung angefangen bei einer Pneumonitis über eine bilaterale Pneumonitis bis hin zu einem ARDS reichte. Aber manchmal sehen wir auch ältere Menschen mit anderen Pathologien und anderen Komorbiditäten. Aus diesem Grund ist Ultraschall besonders nützlich, um auch Patienten in der Notaufnahme besser beurteilen zu können.

Wie ich bereits erwähnt habe, sind wir in gewisser Weise in einer Art Kriegszustand. Mit Ultraschall sieht man, wie kritisch die Situation wirklich ist. Genau das ist die Aussage von WINFOCUS oder Ultraschall: Man legt einen natürlichen Fokus auf „kritischen“ Ultraschall. Mit „kritisch“ meine ich, dass eine Situation kritisch ist, weil der Patient schwerkrank ist, oder weil man während einer kritischen Situation schwerkranke Patienten versorgen muss, wie das bei uns gerade der Fall ist.

Denn wir haben nicht nur schwerkranke Patienten, sondern auch ein riesiges Missverhältnis zwischen den vorhandenen Ressourcen und der Zahl der Patienten. Ultraschall ist hier also eindeutig die Antwort. Und wir müssen die Arbeit hier in diesem Krankenhaus mit anderen Krankenhäusern vergleichen. Viele andere Kliniken in der Umgebung, die unter diesem Tsunami bzw. dieser Flut an Patienten zusammengebrochen sind, waren komplett überfordert, weil sie Patienten für eine Computertomographie überwiesen haben, weil sie auf einen CT-Bericht gewartet haben und weil sie darauf gewartet haben, dass der CT-Scan für andere Untersuchungen zur Verfügung steht. Dadurch wurde die Arbeit in der Notaufnahme sehr viel langsamer und die Notaufnahmen konnten die große Zahl von Patienten nur sehr schwierig versorgen. Die übliche Vorgehensweise funktioniert einfach überhaupt nicht.

Wir hingegen haben Ultraschall genau in die Mitte des Entscheidungsbaums gerückt, und das war wirklich, wirklich effektiv. Wie gesagt, wir haben nur eine Blutgasanalyse und eine Röntgenaufnahme des Thorax durchgeführt. Das Thoraxröntgen ist dabei besonders ausschlaggebend. Wenn das Röntgenbild sehr weiß ist, ist es ein eindeutig positives Ergebnis für COVID-19[for COVID-19]. Bei einer scheinbar negativen Röntgenaufnahme des Thorax hat der Ultraschall eine enorme Aussagekraft darüber, ob eine Beteiligung der Lunge vorliegt und in welchem Ausmaß. Außerdem kann mithilfe von Ultraschall eine etwaige Lungenbeteiligung perfekt dem klinischen Ansatz zugeordnet werden.

Beispielsweise verwenden wir auch den Arbeitstest, um zu entscheiden, ob ein Patient so schwerkrank ist, dass er auf die Überwachungsstation oder die Intensivstation verlegt werden muss. Bei diesem Arbeitstest kombinieren wir Blutgasanalyse, Thoraxröntgen und Lungenultraschall. Der Arbeitstest war eine wichtige Grundlage dafür, welche Patienten wir entlassen können. Dies ist ein weiteres Thema. Wenn einem nicht klar ist, wen man entlassen soll, wann man einen Patienten entlassen soll, und ob der Patient, den man entlassen will, sich an den richtigen Orten aufhält, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, dann ist das ein wildes Durcheinander. Ultraschall hat sich bei dieser Art der Handhabung als ein wirklich effektives Werkzeug erwiesen.

Dr. Mandavia:

Das war wirklich sehr aufschlussreich, Enrico. Irgendwelche anderen abschließenden Überlegungen oder andere Ratschläge für Ärzte, die zusehen?

Dr. Storti:

Die wahre Antwort auf die Corona-Krise lautet, flexibel zu sein und sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, in andere Rollen zu schlüpfen und Aufgaben zu übernehmen, die man bis dahin noch nie getan hat. Das Erstaunliche am Coronavirus ist seine Fähigkeit, sich so rasch zu verbreiten und gleichzeitig bei den Patienten ein sehr schweres ARDS zu provozieren. Das Unglaubliche daran ist, dass ich zum Beispiel jetzt 24 Betten auf der Intensivstation betreue, gleichzeitig weiß ich aber, dass auf der Überwachungsstation mit Sicherheit noch zehn weitere Patienten liegen, die sofort intubiert werden müssen.

Und auch hier ist es wichtig, die Zeit zu nutzen. Das liegt daran, dass es ein Missverhältnis zwischen der Anzahl der Betten auf der Intensivstation, den Beatmungsgeräten, dem Pflegepersonal, den Ärzten und der Anzahl der Patienten gibt. Ärzte müssen ihre Patienten so lange am Leben erhalten, bis genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um Betroffene auf die Intensivstation zu verlegen und sie intensivmedizinisch zu betreuen. Und dort muss man wirklich alle Möglichkeiten nutzen. Wir verwenden zum Beispiel CPAP und setzen nicht-invasive Maskenbeatmung in großem Umfang ein. Auch wenn das BO2/FiO2-Verhältnis sehr niedrig ist und diese Vorgehensweise in „Friedenszeiten“ ausgeschlossen wäre. Wenn man sich jedoch im Krieg befindet, muss man seine Patienten am Leben erhalten, um den richtigen Weg einzuschlagen. Das heißt, behandeln Sie die Kränksten und versuchen Sie, die Betten auf der Intensivstation freizumachen. Bringen Sie dann die anderen, die in der Notaufnahme oder auf der Überwachungsstation warten, als Nächstes auf die Intensivstation.

Man muss also überlegen und sich vorstellen, wie man die Patienten behandelt, wie man seine tägliche Praxis gestaltet, man muss sie neu erfinden und Werkzeuge einsetzen, deren Anwendung man nicht gewohnt ist. Andernfalls – wenn man zu fest an den eigenen Protokollen festhält – kann man diese Situation nicht bewältigen. Das ist meine Botschaft. Man muss flexibel sein, man muss sein Krankenhaus sehr gut kennen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man mit der Verwaltung sprechen muss. Sie müssen mit Ihren Leitern sprechen. Man muss sie um Einrichtungen bitten, man muss sie bitten, wichtige Utensilien zu liefern, und man muss mit ihnen in Kontakt bleiben. Sie können sich nicht mit diesen ärztlichen Angelegenheiten befassen. Man muss mit der Verwaltung sprechen, und man muss sie dazu holen und fragen: „Sehen Sie das Problem?“

Ich nahm meinen Vorgesetzten mit in die Notaufnahme und erklärte ihm: „Damit haben wir es zu tun. Das ist unsere Ausgangslage, und diese Probleme müssen wir bewältigen. Und wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass wir völlig überfordert sind. Deshalb brauche ich das. Ich bitte nicht um etwas, das jetzt nicht wichtig ist. Ich bitte Sie nur um das, was für meine Patienten und für unser Krankenhaus unbedingt notwendig ist, damit unsere Patienten überleben können.“ Er hat es verstanden.

Noch etwas. Das ist wichtig für Italien. Italien hat viele Probleme, aber hier ist die gesundheitliche Versorgung ein Recht, sie ist keine Dienstleistung. Wir haben eine hervorragende Leistung bei der Versorgung aller gebracht, und das ungeachtet der finanziellen Unterstützung. Wir ringen mit etwas, das absolut keine Prognose so erfassen konnte. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die Regierung und das Gesundheitssystem unserer Region eine erstaunliche Arbeit geleistet haben, indem sie Dinge bereitgestellt, sehr konkrete Hilfe geleistet und auch finanzielle Unterstützung für alles gegeben haben.

 

Dr. Mandavia:

Vielen Dank, das war sehr informativ. Das klingt, als ob Sie unter schwersten Bedingungen eine unglaubliche Arbeit leisten. Ich glaube, in der Geschichte der modernen Medizin hat niemand von uns so etwas bisher erlebt. Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Ich weiß, dass Sie gerade im Krankenhaus Dienst haben. Ich danke Ihnen im Namen aller Mitarbeiter von FUJIFILM Sonosite. Es war, wie schon gesagt, ein sehr wertvolles Gespräch. Ich denke, unsere Zuseher können zahlreiche Punkte aufgreifen, die helfen werden, weitere Leben zu retten. Also nochmals vielen Dank, Enrico.

 

Dr. Storti:

Vielen Dank, Diku, und vielen Dank für die Unterstützung. Ich schließe mich Ihnen an: Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass unsere Kollegen weltweit genau wissen, was passieren kann und wie sie sich vorbereiten können, um rechtzeitig zu handeln. Leider waren wir die Ersten und mussten die Dinge neu erfinden, ohne die Funktionsfähigkeit des Krankenhauses zu beeinträchtigen. Es ist uns gelungen, aber es war nicht einfach. Daher sollten alle, die eine Woche Zeit haben, diese Woche nutzen und sich Gedanken machen über die Bedürfnisse ihres Krankenhauses und sich entsprechend vorbereiten. Diese Zeit ist sehr, sehr wertvoll. Und ich denke, dass es mehr als willkommen ist, wenn wir alles Mögliche tun, um unser Wissen zu teilen oder einfach nur zu berichten, was wir erlebt haben. Vielen Dank für Ihre Unterstützung und für die Einladung.